Das Dorf vor der Haustür

Dorfgemeinschaft

Als wir früher noch in einer Wohnung lebten, gab es unter uns im Erdgeschoss eine Nachbarin, die regelmäßig auf ihrer Terrasse saß. Wenn das Wetter gut war, konnte man sich darauf verlassen, dass sie draußen war. Das Besondere dabei war, dass ihre Terrasse nach vorne Richtung Eingangstür ging, und so ergab sich entweder beim Heimkommen oder Verlassen des Hauses immer wieder die Gelegenheit eines kurzen Gespräch oder man setzte sich sogar zu einem Kaffee dazu. Hin und wieder gesellten sich weitere Nachbarn dazu – fast wie ein kleines Ritual, das sich ganz von selbst entwickelte.

Mit der Zeit entwickelte sich eine Hausgemeinschaft, die wir so bisher noch nicht nicht kennengelernt hatten. Im Normalfall kennt man seine Nachbarn höchstens vom Sehen, im besten Fall grüßt man sich mal. In diesem Haus jedoch grillten wir gemeinsam im Vorgarten, feierten zusammen Geburtstage und gingen mit den Kindern auf Spielplätze. Die Chemie passte einfach, wir waren fast alle neu in der Stadt, etwa im gleichen Alter und in einer ähnlichen Lebenssituation.

Diese Erfahrung spiegelt genau das wider, was Rosi Spinks in ihrem Essay mit dem Titel „How to build a village“ beschreibt. Sie geht dabei auf die Schwierigkeiten, Hindernisse und Widerstände beim Aufbauen von Kontakten und Beziehungen ein, die in unseren modernen, oftmals überoptimierten und abgeschotteten Leben so auftauchen. Denn trotz der sozialen Medien und der Möglichkeit, online mit so viel Menschen wie niemals zuvor in Kontakt zu treten, leben wir in einem anti-sozialen Jahrhundert, wie Derek Thompson im „The Atlantic“ schreibt.

Spinks weist zurecht darauf hin, dass die anfänglichen Erwartungen nicht zu hoch sein dürfen und wir uns nicht gleich eine tiefe Freundschaft erhoffen:

Every person I make an effort to get to know doesn’t have to tick every friendship box of my twenties: cool job, nice style, listens to the same podcasts, shares the same politics etc. I already have those friends. It’s okay if the only thing I have in common with a new person is the proximity of where we live, and the age of our child, and the fact that we both don’t work on Fridays. I’m looking for people, not friends. If they turn into the latter, then great.

Ihr Vorschlag senkt die Hürden und bietet einen pragmatischen Ansatz für das Entstehen von sozialen Beziehungen. Wir brauchen mehr Leute in unserem Leben und räumliche Nähe spielt da auf jeden Fall eine große Rolle, nur auf dieser Basis kann sich eine gewisse Beständigkeit und Ritualisierung einstellen. Quantität führt im besten Fall zu Qualität.

Ali Abdaal schlägt passend dazu in der aktuellen Ausgabe seines Newsletters „ProductiveNotes“ vor, eine feststehende regelmäßige (wöchentlich oder zweiwöchentlich) Veranstaltung im Kalender zu etablieren - etwas, das am gleichen Tag, zur gleichen Uhrzeit und am gleichen Ort stattfindet, sodass der organisatorische Aufwand auf ein Minimum reduziert. Der Termin steht fest und wer es schafft, der kommt. Keine Terminplanung, keine Anmeldungen.

For me, it was Sunday brunch. Every week. No RSVP, no pressure. People knew it was happening, and whoever could make it just came along. It took zero effort to organise, and yet it created this wonderful sense of rhythm and connection in my week.[…] No more scheduling headaches. Just consistent, low-pressure hangs that made life feel full. The thing is, when you make social connection automatic, you no longer rely on willpower or coordination to stay in touch. It just happens.

Sich ein soziales „Dorf“ aufzubauen, Kontakte und Beziehungen zu pflegen, ist natürlich aufwendig, anstrengend und zwingt uns manchmal auch aus unserer Komfortzone. Es scheint dem allgemeinen Trend der Isolation bzw. Fokussierung auf die Kernfamilie entgegenzulaufen. Man muss Initiative zeigen, sich nicht entmutigen lassen und manchmal vielleicht auch mehr als zweimal nachfragen. Patty Smith beschreibt hier, wie sie das in die Praxis umgesetzt haben und wie eine einfache Idee ihre Nachbarschaft verändert hat:

Tyler and I were already having leisurely weekend morning coffees in our house, so it was an easy pivot to sit outside with our coffees and enjoy the sunshine. And thus our tradition began. Every weekend, we would bring our folding chairs out onto the street – we had to make do since our house doesn’t have a stoop – and enjoy our caffeine. As we saw people entering or exiting their homes, we'd enthusiastically wave them down, introduce ourselves, and write down their names in our shared spreadsheet.

Das Entstehen von Gemeinschaften und sozialen Beziehungen scheint nicht mehr selbstverständlich zu sein und läuft dem allgemeinen Trend der Isolation entgegen. Das anfängliche Beispiel von unserer Hausgemeinschaft erweist sich dann umso mehr als etwas Besonderes. Es zeigt aber auch, dass Beharrlichkeit und die Etablierung von Ritualen notwendig sind.

Foto von National Historical Museum of Sweden (NHM) auf Unsplash