Wiederlesen

Foto von Jonas Jacobsson auf Unsplash

In regelmäßigen Abständen werde ich gefragt, warum ich immer so viele Bücher kaufe (und das, obwohl der Platz in den Regalen langsam knapp wird). Man könne ja auch die vorhandenen Bücher noch mal lesen. Was für eine absurde Vorstellung – dachte ich!

Meine bescheidene private „Bibliothek“ umfasst vermutlich so um 1000 Bücher – der größte Teil davon tatsächlich gelesen bzw. angelesen. Wenn ich mal auf der Suche nach einem neuen Buch durch die Regale stöbere, muss ich zugeben, dass ich bei den meisten nicht mehr genau sagen könnte, worum es da geht. Manchmal habe ich noch eine ungefähre Vorstellung von der Thematik, meistens sind es nur vage Handlungsfragmente oder Gefühle, die ich mit den Büchern verbinde. Es kommt sogar vor, dass ich nicht genau sagen kann, ob ich ein Buch gelesen habe.

Der Autor Rolf Dobelli schlägt in seinem Essay „Weniger lesen, aber aus Prinzip doppelt“ vor, sich eine Lese-Lochkarte vorzustellen, die eine begrenzte Anzahl von Feldern hat. Wenn man ein Buch gelesen hat, muss man ein Feld entwerten. Die Feldanzahl ist dabei begrenzt. Er selber hat sich auf 100 Felder für die nächsten 10 Jahre beschränkt. Das hört sich für mich auf den ersten Blick sehr drastisch an. Aber der Ansatz ist interessant: Das System zwingt einen dazu, bei der Auswahl der Bücher kompromissloser zu sein, weil jedes gelesene Buch – egal ob gut oder schlecht – gleichermaßen ein Feld entwertet. Schlechte oder auch nur mittelmäßige Bücher zu Ende zu lese, kosten uns die wertvollste Ressource – Zeit.

Eine zweite Konsequenz aus Dobellis Ansatz ist, dass man Bücher mehrfach liest. In dem Artikel „Good Books Want To Be Reread“ von iA wird ein gutes Buch mit einem guten Freund oder einem Lieblingsgericht verglichen. Hier würde auch niemand sagen, dass es langweilig sei, diesen Freund immer wieder zu treffen, oder dass es ausreicht, das Gericht nur einmal zu probieren. Das wiederholte Lesen wäre eine Möglichkeit, tiefer in die Geschichten oder Ideen einzutauchen. Gute Geschichten werden nie vollkommen erfasst – erst recht nicht beim ersten Lesen. Mit jeder Wiederholung entfaltet sich die Geschichte um weitere Facetten. Sollte einem beim erneuten Lesen doch langweilig werden, ist es vielleicht kein so gutes Buch gewesen.

Ich finde Dobellis Ansatz zu pragmatisch und nutzenorientiert. Nicht jedes Buch muss nützlich sein – Sachbücher vielleicht mehr als Romane. Gerade Romane bieten so viel mehr, dem dieser Ansatz nicht gerecht wird. Was natürlich nicht bedeutet, dass man sie nicht auch wiederlesen kann und vielleicht auch sollte. Was man aber auf jeden Fall beherzigen sollte, ist, dass man Bücher schnell beiseite legt, die einen – sagen wir mal auf den ersten 50 bis 100 Seiten – nicht ansprechen. Die Zeit ist zu schade dafür. Das heißt nicht unbedingt, dass sie schlecht sind, sondern vielleicht gerade zu diesem Zeitpunkt nicht für einen passen.

Das wäre ein interessantes Projekt für das nächste Jahre: Keine neuen Bücher mehr kaufen, sondern alte Bücher wiederlesen.